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Re-Replik zu Fritz Sutter’s Kolumne im Swiss IT Magazin vom 6. September 2022

6. September 2022

Da ich persönlich in der September Kolumne im Swiss IT Magazin von Fritz Sutter angesprochen bin, erlaube ich mir eine Re-Replik zu schreiben, da Fritz’ Kommentare und Kolumne wichtige Punkte offen lässt, die (auf-)geklärt werden müssen.

Fritz Sutter: Mein Kolumnenpartner, mit welchem ich seit gefühlt 1291 freundschaftlich verbunden bin, beklagt sich über die Situation im schweizerischen Telekommunikations­markt. Er sei – wie er über sich selbst schreibt – ein liberal denkender Mensch, findet jedoch die Marktsituation «unerträglich». Gleichzeitig fordert er, die Regulierer müssten sich vertiefter mit der Materie befassen. Ja, was denn nun, lieber Luzi: liberal oder staatlich? Vegan oder Bratwurst? Zur Erinnerung: Die Liberalisierung der Telekommunikation begann in der Schweiz mit dem Fernmeldegesetz von 1997. Seit nunmehr einem Vierteljahrhundert (!) entscheidet der Markt über Erfolg oder Misserfolg von Swisscom, UPC, Salt, Sunrise etc.

Antwort Luzi von. Salis: In der Tat, sind Fritz und ich freundschaftlich miteinander verbunden und tauschen uns regelmässig aus. Aufgrund unserer diametral verschiedenen Herkünfte und Erfahrungen im Telecom-Markt -Fritz war Strategie-Chef der Swisscom und ich parallel stellvertretender Geschäftsführer und Marketingleiter bei Colt Telecom- haben wir nach wie vor diametral verschiedene Ansichten zum Marktgeschehen sowie zur Rechtsprechung in der Telekommunikation. Das macht die Diskussion doch erst interessant.

Nun zum Markt: Der Markt kann nur so weit wirken, wenn eine wirkliche Liberalisierung stattgefunden hat. Wie wir alle wissen, haben dies die Schweizer Bundesbehörden effektiv nur sehr halbherzig getan. Der Markt hat es in langen 25 Jahren nicht geschafft, dass alternative Carrier/Provider nachhaltig in die Schweiz investieren und grössere Marktanteile holen können. Warum nicht? Weil die Rahmenbedingungen für Investoren offensichtlich zu unsicher sind und diese die verkorkste Liberalisierung, die jährlich wiederkehrenden Gerichtsgänge bis zum Bundesgericht (und fast jede wird von Swisscom verloren) von diesen Firmen nicht gewünscht sind. Die Unternehmen sind nicht bereit, diese ermüdenden Gerichtsgänge gehen zu müssen und jahrelang auf die zustehenden Gelder in Millionenhöhe zu warten. In den ersten zehn Jahren des «liberalisierten» Marktes, kämpften die alternativen Carrier (Colt, Verizon, Multilink, etc.) mit scharfen Messern gegeneinander und insbesondere gegen Swisscom, um Marktanteile und Kunden zu gewinnen. Dies funktionierte damals nicht schlecht, weil die Margen noch sehr hoch waren und Gelder für Anwälte und Gerichte aufgewendet werden konnten. Schon damals musste jedes Jahr bis zum Bundesgericht gekämpft werden. Die jährlichen Rückzahlungen seitens Swisscom für prohibitiv einkassierte Preise in jährlicher Millionenhöhe und bezahlte Gerichtskosten sprechen Bände und für sich. Das ist Fakt. Es wurden auch viele hunderte Millionen in die Netze und Technologien investiert. Ein wirklicher Wille des Bundes und der Politik für eine völlige Marktöffnung war schon damals nicht ganz vorhanden. Dies ist leider heute nach wie vor so.

Zur Liberalisierung und liberal sein: Da muss ich, wie oben beschrieben, voll widersprechen. Liberal kann man nur sein, wenn der Staat ganz seine Finger aus dem Business lässt und nur voll marktwirtschaftliche Zustände zulässt. Dabei darf der Staat selbst im Markt kein aktiver Marktteilnehmer sein! Fakt ist, dass der Bund Mehrheitsaktionär der Swisscom ist und derselbe Staat indirekt bei jedem Elektrizitätswerk mit Telecom-Abteilungen und Marktangeboten involviert ist. Einerseits sind der Bund bei Swisscom und die Kantone und Kommunen bei den EWs Mehrheitsaktionäre. Was für ein Irrsinn: Kantonale Unternehmen konkurrieren den Bund in einem sogenannt liberalisierten Markt. Der gleiche Bund stellt dann gleichzeitig noch die Wettbewerbsbehörde (WEKO), die Kommunikationskommission (ComCom) für die «unabhängige» Konzessionierung und Regulierung sowie das Bundesamt für Kommunikation BAKOM. Jetzt verstehe ich etwas nicht mehr, lieber Fritz: Wie geht jetzt das genau mit der Liberalisierung, Unabhängigkeit und offener Marktwirtschaft? Der Staat setzt die Rahmenbedingungen für einen sogenannten Markt, die Wettbewerbskontrolle, die Regierungsbehörde und ist gleichzeitig Marktakteur bei Swisscom und erwartet jährliche Dividendenzahlungen. Hier liegt offensichtlich alles im Argen und die Schweiz im Offside! Das kann niemand widerlegen und es gibt kein Land, das so «liberalisiert» wurde. Und mit «Good Governance» und Vorbildfunktion hat es gerade auch nichts zu tun.

Noch ein interessantes Beispiel: Warum hat die riesige Vodafone nie wirklich einen Schritt in die Schweiz gewagt? Die Schweiz ist ein weisser Fleck auf der Vodafone-Landkarte. Die andere Europäische grosse Telco-Unternehmung, die spanische Telefonica, versuchte es anfangs der 2000er Jahre und zog sich gleich wieder zurück. Auch die Deutsche Telekom schielte einige Male in die Schweiz und verwarf jedoch Gedanken, hierzulande aktiv zu werden. Und das ist alles kein Zufall!

Fritz Sutter: Interessant ist, dass Luzi von Salis von einer Definition der Marktbeherrschung ab 60 Prozent ausgeht. Wie er zu dieser «Definition» gelangt, ist unklar. Jedenfalls findet sich weder im Fernmeldegesetz noch im Kartellgesetz eine derartige Bestimmung. Art. 2 des Kartellgesetzes besagt lediglich, dass als marktbeherrschend Unternehmen gelten, die auf einem Markt als Anbieter oder Nachfrager in der Lage sind, sich von Mitbewerbern unabhängig zu verhalten. Wenn man den anhaltenden Preiskampf in der Telekombranche betrachtet, sind Swisscom (und auch die anderen Anbieter) meilenweit davon entfernt, marktbeherrschend zu sein.

Antwort Luzi von. Salis: Fritz Sutter hat im Punkt recht, dass die Marktbeherrschung in der Schweiz gesetzlich nicht geregelt sei – wohl mit guter Absicht! Das tönt jetzt bösartig, aber die äusserst professionelle Lobby-Arbeit von Swisscom hat dies auch so gesteuert. Wir kennen alle die entsprechenden Namen der Firmen und Personen, die für Swisscom politisch und rechtlich arbeiten und ständig in der Bundeshaus-Wandelhalle die Politiker «informieren». Das muss man können – Hier macht Swisscom für sich exzellente Arbeit.

Bezüglich Marktbeherrschung gibt es jedoch genügend nationale und internationale Literatur. Die EU sowie die Briten gehen vom 60%-Wert für Marktbeherrschung aus. Das war auch die Zahl, die in den vergangenen Rechtsverfahren verwendet wurden. In der EU wurde die 60% bezüglich Regulierungen angewandt und waren für die ex-Monopolisten immer schmerzhaft. Es hat auch mit dem Regulierungs-Mechan ex-ante resp. ex-post zu tun. In der Schweiz schaut man ex-post zurück, in den anderen Ländern voraus. Das ist ein wichtiger Unterschied für einen dynamisierten Markt. Andere Länder haben dies gut vorgemacht. Die Britische BT hat sich erstaunlich gut gemausert, sei es als BT Open Access (Infrastruktur Abtrennung analog zur Schweizerischen Kabel und Schacht AG-Idee) oder in den Servicegeschäften mit BT oder BT Global Services, etc. Mobile hatten die Briten damals in O2 konvertiert und voll privatisiert. So geht wirkliche Liberalisierung und nicht nach dem Schweizer Murks-Modell.

Anbei drei spannende Links bezüglich Marktbeherrschung, Regulierung und missbräuchlichem Verhalten. Hier wird beispielsweise ein Marktanteil von 70% als Super-Dominanz definiert:

Das Schweizer Kartellgesetz, Art 2 besagt: «Als marktbeherrschende Unternehmen gelten einzelne oder mehrere Unternehmen, die auf einem Markt als Anbieter oder Nachfrager in der Lage sind, sich von andern Marktteilnehmern (Mitbewerbern, Anbietern oder Nachfragern) in wesentlichem Umfang unabhängig zu verhalten».

Und hier ist es offensichtlich so, dass sich Swisscom im Geschäftskundenbereich preislich und infrastruktur-technisch frei bewegen kann. Das ist der Grund, warum Swisscom seit über 20 Jahren B2B-Marktanteile von über 80% halten kann! Das hat nicht nur mit guten Produkten und Services von Swisscom zu tun! Dies ist gelebte Super-Super-Dominanz.

Somit muss hier mindestens für den Schweizerischen Geschäftskunden-Telecom-Markt festgehalten werden, dass der Markt nicht spielt und funktioniert. Wir sprechen hier eigentlich von einem gelenkten Marktversagen. Punkt. Soll jetzt der Staat mit Regulierung eingreifen? Eigentlich müsste er. Wir sprechen doch von einem CHF 4Mia. Markt. Das ist nicht unerheblich. Und wichtig ist: Das strukturelle Bund-Swisscom-Bakom-ComCom-Weko-EW-Kanton-Verbandelung-Markt-Problem muss strukturell gelöst werden. Ob der politische Wille wirklich dazu vorhanden ist, ist leider mehr als fraglich…

Fritz Sutter: Der Grund für den Erfolg von Swisscom könnte ja ganz anders begründet sein, nämlich in der Qualität und den Preisen der Produkte und Dienstleistungen. Darauf weisen die Rankings mehrerer Netztests unabhängiger Bewertungsfirmen hin: Beispielsweise im «Chip»-Mobilfunktest 2021, wo Swisscom in allen fünf Kategorien auf Platz 1 ist (Internet, Telefonie, Verfügbarkeit, Fernzüge und 5G). Oder im Connect-Festnetztest 2021, wo Swisscom Siegerin des Breitbandnetztests wurde. Im gleichen Jahr gaben Sunrise und UPC im Rahmen der angekündigten Fusion den Abbau von 600 Stellen bekannt.

Antwort Luzi von. Salis: Ich habe es immer wieder wiederholt, dass Swisscom sehr gute Services erbringt. Sie kann dies so aufrechterhalten, weil sie genügend Mittel dazu einsetzen und den Cashflow dafür erwirtschaften kann. Die Rahmenbedingungen des Staates für Swisscom sind eben idealisiert und hervorragend lobbyiert. Und trotzdem kann Sunrise auf beinahe identischem Level operieren. Aber, sie kann es nur, weil sie durch den Zusammenschluss mit UPC eine gewisse Grösse erreicht hat. Was sie immer noch nicht kann, ist den nötigen Cashflow zu produzieren, um ihre angekündigte Glasfaserinfrastrukturen in Randregionen effektiv zu bauen. Vermutlich ist sie -wie heute aufgestellt- immer noch etwas zu klein, um der Swisscom nachhaltig Marktanteile abzunehmen. Weitere Indizien im Markt sind die Konsolidierungen im Service Provider Umfeld. Kleine, mittlere und auch grössere Marktakteure gehen zusammen, werden verkauft und integriert, da das Geschäft im Infrastruktur- und Servicegeschäft zu kapitalintensiv ist, um es vermutlich profitabel betreiben zu können. Deshalb wäre es aus meiner Optik wichtig, die Swisscom voll zu privatisieren und dem wirklichen Markt auszusetzen und die Infrastrukturebene (bis Layer 1) in einer separaten Gesellschaft und unabhängig zu betreiben – Stichwort horizontale Separierung. Ich habe dies bereits in einer früheren Swiss IT Magazin Kolumne näher beschrieben.